Biaschina

Geografisch befindet sich die Biaschina (gesprochen: Biaskina) zwischen Giornico und Nivo. Also etwa 2 km nördlich von Giornico. Sie beginnt in etwa beim Alten Bahnhof von Giornico und endet beim nördlichen Ausgang des Biaschinaautobahntunnels. Es handelt sich um den Bereich des steilen Anstieges der Gotthardstraße mit ihren zwei 180 Grad-Kehrwenden. Die Autobahn A2 nimmt den Höhensprung mit der zweitgrößten Autobahnbrücke der Schweiz. Die Eisenbahnlinie wiederum nutzt zur Überwindung des Höhensprunges zwei Kehrtunnel. An dieser Stelle können die Züge auf 3 verschiedenen Levels betrachtet werden.

Die Biaschina ist etwa vor 12-14 ky BP entstanden. In der frühgeschichtlichen Terminologie bedeutet die Abkürzung "BP" (Before Present) bzw. "v.h." (vor heute) die Zeit, die vom Basisjahr 1950 zurückgerechnet wird. Die Zeitangaben werden mitunter als TJ oder in englischen Publikationen mit kY (Tausend Jahre bzw. kilo years) abgekürzt. In unserem Fall entstand die Biaschina also etwa 12 bis 14000 Jahre vor 1950. Sie ist also grob gesagt vor etwa 13000 Jahren entstanden. Als Vergleich sei hier angeführt, dass die Dinosaurier vor 235 bis 65,5 millionen Jahren lebten. (Vor 235.000.000 Jahren bis vor 65.500.000 Jahren) Als weiterer Vergleich darf noch angeführt werden, dass wir Menschen den aufrechten Gang vor etwa 4.000.000 Jahren erlernt haben. Die Biaschina entstand also irgendwann zwischen der Jungsteinzeit (14000 Jahren) und der Spätsteinzeit (12000 Jahren). Sie ist also Erdgeschichtlich sehr jung. Als weiterer Vergleich dient die Domestikation des Wolfes hin zum Haushund, welches in der gleichen Zeitperiode geschah.

Also so schön, urwüchsig und wild die Biaschina auch ist; Dinosaurier haben sie nie erblickt.

Aber wie und warum ist sie so spät entstanden. Nun sie ist das Ergebnis des gewaltigen Bergsturzes von Chironico. Die Erosion war in diesem Bereich so stark, dass riesige Mengen an Gestein sich ablösen und zu Tal gehen konnten. Der namensgebende Fluss des Tessins, der Ticino und der von Chironico in den Ticino mündende Fluss Ticinetto haben bis zum heutigen Tag ihre Handschrift in der Biaschina hinterlassen. Insbesondere der Ticino hat sich tief in den Felssturz hineingefressen und eine Schlucht hinterlassen. Noch Heute lassen sich die Dimensionen des Erdrutsches erahnen. Mit blossem Auge ist dieser


Quaderförmige Fels oberhalb der Schilderbrücke der A2 zu erkennen, welcher zu Tal zu rutschen droht. Im Hintergrund rechts der schneebedeckte 2662 m hohe Piz Pécian mit seiner klaren geradlinigen Statur. Vom Herbst bis zum Frühjahr zeigt er sich schneebedeckt und es ist schön zu beaobachten wie der Wind den Pulverschnee vom Gipfel weht, während man in leicher Bekleidung im Tal die Sonne geniesst. Geografisch befindet sich der Berg in etwa zwischen Airolo und Faido. Ein sehr schönes Ziel für geübte Bergwanderer.

Sportlich werden die Reste dieses riesigen Erdrutsches von Boulderern genutzt. (Der Name bouldern leitet sich vom englischen boulder "Felsblock" ab. Es handelt sich um das Klettern ohne Kletterseil und Klettergurt an Felsblöcken, Felswänden oder an künstlichen Kletterwänden in Höhen, aus welchen ein Absprung und ein Auftreffen auf "Crashpads" (Eine Art Matratze - die Bolderer mögen diesen Vergleich verzeihen), normalerweise ohne grosse Blessuren abgeht. Seit den 1970er Jahren ist das Bouldern eine eigene Disziplin des Sportkletterns und hat vor allem seit den 1990er Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Im Internet finden sich unzählige Videos unter den Suchwörtern "Bouldering Chironico" https://www.google.de/#q=bouldern+chironico&tbm=vid


Nun was macht die Biaschina sonst noch aus. Den Meisten ist die Biaschina bekannt durch die Biaschinaschleifen der Gotthardbahn und durch die höchste Autobahnbrücke der Schweizer Autobahn 2. Es ist die zweithöchste Autobahnbrücke der Schweiz.

Da die Gotthardbahn bereits 1882 ihren Fahrbetrieb über ihre Gesamtlänge aufgenommen hat, sei sie zuerst erwähnt. Den Planern der Gotthardbahn brachte der zu überbrückende grosse Höhenunterschied in der Biaschina einiges an Kopfzerbrechen. Keine Lokomotive der damaligen Zeit konnte eine derart grosse Steigung schaffen. Es wurden verschiedenste Lösungen diskutiert und berechnet. Errichtung von Kopfbahnhöfen unterhalb und oberhalb der Biaschina mit einem Transport der Waren und Personen innerhalb der Biaschina per Kutschen und Lasttieren bis hin zu dem Kuriosum den ganzen Zug mit einem Aufzug über den Höhenunterschied zu heben. Letztlich setzte sich die noch heute im Einsatz befindliche Verlängerung der Strecke durch zwei Kehrtunnels durch. Zur damaligen Zeit war ein derartiges Vorhaben ebenso teuer, kühn und aussergewöhnlich, dass noch heute eine Unmenge an Ansichtskarten mit dem Motiv von schnaubenden Dampflokomotiven in der Biaschina aus der damaligen Zeit bestehen. Ja es war damals wohl ähnlich spektakulär wie der Pariser Eifelturm. Nur hat sich der Tunnelbau derart stark entwickelt, dass sich die beiden Kehrtunnels in der heutigen Zeit mit ihren reinen Daten nicht mehr als so spektakulär ausnehmen. Wohl aber aus historischer Sicht! Sowohl der Pianotondo Kehrtunnel mit einer Länge von 1508 Metern, als auch der Travi Kehrtunnel mit 1547 m stellen sich gegenüber dem neuen Gotthardbasistunnel mit einer Länge von 57 km als Zwerge heraus. Der Südeingang des neuen Gotthardbasistunnels liegt nur 8 km von den Biaschinakehrschleifen entfernt und ist der Beginn des Längsten Tunnels der Welt! Wer als Bahnfan die Biaschina besucht, wird sicherlich die wenigen Kilometer bis zum Besucherzentrum zwischen Bodio und Pollegio auf sich nehmen, um sich über den neuen Gotthardbasistunnel zu informieren. Der Basistunnel wird voraussichtlich im Dezember 2016 in Betrieb genommen. Sowohl das Tessin, als auch der Kanton Uri streben den weiteren Betrieb der nun über 125-jährigen Gotthardlinie an. Neben touristischen Gründen wird die Notwendigkeit als Ausweichstrecke für den Basistunnel als auch als Notwendigkeit der Autoverladung bei einer Vollsanierung und damit einhergehenden Vollsperrung des Gotthard-Autobahntunnels genannt. Es wird auch die Kandidatur als UNESCO-Weltkulturerbe angestrebt. Hierzu muss aber die Zukunft der Bergstrecke verbindlich geklärt werden. Erste Ergebnisse sind zum Ende des Jahres 2013 geplant. Bahnfans aus aller Welt hoffen auf ein Weiterbestehen der Bergstrecke. Der Bahnabschnitt der Biaschina wird seitens der Lokomotivführer als der schönste Streckenabschnitt der gesamten Gotthardstrecke angesehen. Wenn Sie als Besucher einen kleinen Spaziergang in der Biaschina, zum Beispiel direkt am alten Bahnhof Giornico unternehmen, werden Sie feststellen, dass ein Grossteil der Bahnreisenden aus dem Fenster blickt und die Gegend bewundert. Bei talwärts fahrenden Güterzügen sehen Sie des öfteren Lokomotivführer nach hinten aus dem Fenster blicken. Der Blick gilt nicht unbedingt der landschaftlichen Schönheit, sondern zu allererst der Unversehrtheit des Rollgutes. Unterliegt das Material in diesem Streckenabschnitt mit den engen Kehrtwenden als auch der grossen Steigung doch erhöhtem Verschleiss und damit Störanfälligkeit. Der Verschleiss lässt sich tagsüber an dem starken Stahlabrieb in Form von Rost im Bereich des Gleisbettes und Nachts an glühenden Bremsen erkennen. Die glühenden Bremsen sind übrigens schon Ursache von Waldbränden gewesen. Die Bahn schickt dann Löschzüge und Löschhubschrauber. Wenngleich es kein schöner Anlass ist, so ist es doch ein Erlebnis die Löscharbeiten zu beobachten. Ohnehin ist die Wahrscheinlichkeit Bautrupps der Bahn in diesem Streckenabschnitt anzutreffen hoch, da wie gesagt ein hoher Verschleiss seinen Tribut fordert. Ob es das Verlegen neuer Schienen oder auch nur der allfällige Baum- und Strauchschnitt ist, hier gibt es meist etwas zu sehen.

Neben der Eisenbahnlinie hat auch der Strassenverkehr der Biaschina ihr heutiges Erscheinungsbild gegeben. Neben der bereits erwähnten Autobahn ist es die alte Kantonalstrasse. Es lohnt sich als Autofahrer auf dem Weg Richtung Italien einen kleinen Abstecher zu machen. 6 km nach der Abfahrt (Uscita) Faido unterquert die Kantonsstrasse die Autobahn. Das Tal verengt sich und das Gefälle nimmt zu. Sie befinden sich in der Biaschina. Nach einem weiteren kurzen Streckenabschnitt eröffnet sich der grandiose Blick auf die Biaschina-Autobahnbrücke. Aber aufgepasst, die nun folgende 180 Grad EKehre verträgt nur geringste Geschwindigkeiten. Wenige Meter nach der Kehre befindet sich auf der linken Strassenseite eine Bushaltestelle mit Haltebucht. Ohne den Busverkehr zu behindern stellen Sie Ihr Fahrzeug am Ende der Bucht kurz ab, um den Ausblick zu geniessen und ein Erinnerungsfoto zu schiessen. Dieses war auch unser erster Kontakt mit der Biaschina!

Diese urig anmutende alte Kantonsstrasse ist in ihrer heutigen Streckenführung übrigens gar nicht so alt. Der Kanton Tessin baute bis 1818 abschnittsweise die Fahrstraße vom Süden her bis Giornico. Da die Urner vorerst Widerstand gegen eine Gotthard-Straße leisteten, bauten die Tessiner und Bündner die Straße über den San Bernardino. Die hierdurch versiechenden Einnahmen aus dem Verkehr liessen die Urner nun zu starken Befürwortern der Gotthardstrasse werden. Bis 1830 war die Gotthardstrasse in ihrer ganzen Länge vollendet. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm der Strassenverkehr in ungeahntem Ausmass zu, so dass man sich entschied eine Autobahn zu bauen. Bis zur Fertigstellung der Autobahn war der Strassenverkehr für die Region Segen und Fluch zugleich. Es war wirtschaftlich ein grosser Gewinn vom Verkehr zu profitieren. Noch heute zeugen unzählige ehemalige Tankstellen an der Strecke von dem grossen Bedarf an Notwendigem für die Reise. Der tägliche Verkehrsstau nötigte Fahrzeugführer und Mitreisende in den Ortschaften dazu sogar bei privaten Haushalten nachzufragen, ob sie dort ihre Notdurft verrichten dürften. Ein Fluch war natürlich die mit einhergehende Belästigung durch Lärm und Abgasen; aber auch die Beeinträchtigung des nun zeitraubenden Fahrens für den Pendlerverkehr.

Im Jahre 1985 wurde der Autobahnabschnitt Giornico - Biasca freigegeben und seitdem ist das Verkehrschaos auf der alten Kantonalstrasse Geschichte. Nur ganz selten, wenn die Autobahn wegen eines Unfalles in diesem Bereich geschlossen wird, lassen die dann durchfliessenden Automassen das Mass an Verkehrsbelästigung aus seiner Zeit erahnen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der Biaschina auf kleinsten Raum vielfältigste Interessen angeregt werden:
-Das Tal ist von Urwald gesäumt, der uns eine Vorstellung gibt, wie die heimischen Wälder vor deren intensiver Nutzung aussahen.
-Autobahn, Eisenbahn, Kantonsstrasse als auch die als Wanderwege genutzten Saumpfade geben einen Einblick in die Verkehrsgeschichte.
-Der Mailänder Dom befriedigte das Bedürfnis nach seelischer Einkehr und Fürbitte genauso wie deren Wille des Machtanspruches über diese Region. Insbesondere die Kirche San Pellegrino, welche direkt am Saumpfad plaziert wurde, steht dafür.
-Der Erdrutsch, der die Biaschina erst erschuf, gibt einen interessanten Einblick in die junge Erdgeschichte.
-Durch den grossen Höhenunterschied entstand eine Wetterscheide. Im Winter liegt oft oberhalb der Biaschina Schnee, während die Autofahrer in Giornico auf Winterreifen verzichten können. Im Hochsommer empfindet man die Luft in Biasca oft als erdrückend, während man in der Biaschina und in Giornico von einem seichten Luftstrom profitiert, der die sommerliche Hitze erträglich macht.
-In der Biaschina lässt es sich hervorragend wandern als auch einfach nur die Zeit am Ticino geniessen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das wilde Campen im Kanton Tessin nicht erlaubt ist. Viele Prospekte, zum Beispiel der SBB, zeigen den Ticino mit der Eisenbahn in den Biaschinaschleifen als Naherholungsziel. Uns freut deren Einschätzung der Biaschina teilen zu dürfen.
























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